1./2. November 2014
zur aktuellen Lage in Israel und im Nahen Osten sowie zum 50. Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel.
1. Die deutsch-israelischen Beziehungen sind den Wechselwirkungen der globalen Entwicklungen ausgesetzt. So hatte auch der Fall des Eisernen Vorhangs Auswirkungen auf das deutsch-israelische Verhältnis. Vor dem Hintergrund des 25. Jahrestages der Leipziger Montagsdemonstrationen, die ganz entscheidend dazu beigetragen haben, das DDR-Regime zu stürzen, kann heute dankbar festgestellt werden, dass zunächst vorhandene Bedenken und Ängste – auch in Israel – vor einem wiedererstarkenden Nationalismus in Deutschland nach der Wiedervereinigung in der Dimension nicht begründet waren.
Heute ist die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) in allen ostdeutschen Bundesländern mit Arbeitsgemeinschaften vertreten, um für die bilateralen Beziehungen einzutreten. Nicht zuletzt deshalb hat die DIG die eng mit der Wiedervereinigung verbundene Stadt Leipzig als Tagungsort für die diesjährige Hauptversammlung ausgewählt. Auch die Integration der osteuropäischen Staaten in die Europäische Union beeinflusst die deutsch-israelischen Beziehungen. Dabei wollen wir als Deutsch-Israelische Gesellschaft neue Wege beschreiten, um das Verständnis zwischen Israel und Europa zu fördern. Gemeinsam mit den anderen europäischen Israel-Freundschaftsgesellschaften wollen wir durch die Gründung einer European Alliance for Israel diesen wichtigen Dialog auf eine neue Plattform stellen.
2. Die zurückliegenden Monate waren ganz wesentlich gekennzeichnet durch eine Ausbreitung von brutalen islamistischen Terrorgruppen, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten. Der Vormarsch des „Islamischen Staates“ (IS) gerade im Irak und in Syrien und die Verbrechen des syrischen Regimes haben bis heute millionenfaches Leid über die ganze Region gebracht. In Europa und Deutschland bricht sich verbale und/oder tätliche Gewalt in antisemitischen und antizionistischen Demonstrationen Bahn. Auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Werte kommt der Europäischen Union und damit ganz besonders auch Deutschland eine besondere Verantwortung bei der diplomatischen Lösung der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten zu.
Israel und Europa teilen Prinzipien wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Dies gilt für Initiativen einer Zwei-Staaten-Lösung ebenso, wie für die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm, das nicht nur eine Bedrohung für Israel ist, sondern die regionale und globale Sicherheitsarchitektur in höchstem Maße gefährdet. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) fordert die Bundesregierung auf, bei den P5+1 Verhandlungen mit dem iranischen Regime keinem Abkommen zuzustimmen, das dem Iran eine atomare Bewaffnung ermöglicht. Sanktionsaufhebungen dürfen nur erfolgen, wenn Iran den Status als nukleare Schwellenmacht einbüßt. Es darf kein Abkommen um jeden Preis geben. Mit aller Deutlichkeit spricht sich die Deutsch-Israelische Gesellschaft auch gegen Boykottforderungen gegenüber israelischen Produkten und Institutionen aus.
Wir fordern die Bundesregierung auf, mit Vehemenz solcherlei Vorstößen innerhalb der Europäischen Union entgegenzuwirken und sich auf der EU-Ebene für eine Abschaffung der Kennzeichnungspflicht einzusetzen. Trotz der bisher enttäuschenden Ergebnisse bei den Verhandlungen für eine dauerhafte Friedensregelung im Nahen Osten setzt sich die Deutsch-Israelische Gesellschaft weiterhin für eine Zwei-Staaten-Lösung ein, die Israel und seinen Bürgern Sicherheit bietet und das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser achtet. Einen dafür notwendigen historischen Kompromiss zwischen Israel und den Palästinensern sollten die politisch Verantwortlichen in Deutschland mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen und damit unter anderem auch dem besonderen Anspruch Deutschlands, nach dem Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson ist, gerecht werden. Die Anerkennung eines palästinensischen Staates zum jetzigen Zeitpunkt entbehrt hingegen jeglicher Grundlage und wäre darüber hinaus kontraproduktiv für die weitere Entwicklung. Darum fordert die Deutsch-Israelische Gesellschaft die Bundesregierung auf, den jüngsten Vorstößen dieser Art eine klare Absage zu erteilen. Die Einheitsregierung aus Fatah und Hamas kommt dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser nicht nach, die seit acht Jahren keine Möglichkeit hatten, ihre politische Vertretung zu wählen. Die Hamas ist keine demokratische Kraft, die als Verhandlungspartner akzeptiert werden könnte. Die Hamas hat sich in keiner Weise von der Gewalt distanziert; ganz im Gegenteil: Sie attackiert nach wie vor die israelische Zivilbevölkerung, die bereits seit Jahren unter dem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen leidet. Die Hamas schreckt weiterhin auch nicht davor zurück, die palästinensische Bevölkerung tödlicher Gefahr auszusetzen, indem Kinder und Jugendliche als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht und militärische Einrichtungen in ziviler Umgebung errichtet werden. Diese besondere Form des Terrors steht im krassen Widerspruch zu allen Grundsätzen der Menschenrechte und des internationalen Völkerrechts.
In diesem Zusammenhang sind deutsche Waffenlieferungen nach Israel als Unterstützung eines demokratischen Bündnispartners zu werten. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft setzt sich dafür ein, den von terroristischer Gewalt betroffenen Menschen zu helfen.
3. Mit Sorge blicken wir in diesen Tagen auf die jüngste Entwicklung in Jerusalem. Das Attentat auf einen Rabbiner, die anschließende Erschießung des mutmaßlichen palästinensischen Täters und die seit etlichen Wochen schwelenden Unruhen in Ostjerusalem können den Nährboden für eine neue Intifada bilden. Gefordert sind jetzt ein hohes Maß an Vernunft, Verantwortung und gegenseitiger Bereitschaft, einer weiteren Eskalation mit allen politischen Mitteln entgegenzuwirken. Eine besondere Verantwortung liegt bei den Verbündeten beider Seiten dieses Konfliktes. Die Europäische Union darf sich gerade in dieser angespannten Situation nicht auf eine beobachtende und kommentierende Rolle beschränken. Hier ist eine aktive und kluge Diplomatie gefragt. An die deutsche Bundesregierung richten wir daher die dringende Bitte, ihre herausgehobene Rolle in der Europäischen Union für eine aktivere EU-Nahost-Politik zu nutzen mit dem Ziel, die aktuelle hochbrisante Situation schnell zu beruhigen und gleichzeitig langfristige Lösungen mit allen Beteiligten zu erarbeiten.
4. In Europa und Deutschland wurden die Entwicklungen im Nahen Osten durch antisemitische und antizionistische Demonstrationen begleitet. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft verurteilt jede verbale und tätliche Gewalt auf das schärfste. Kritik an der Politik des Staates Israel ist legitim und Ausdruck lebendiger demokratischer Praxis, wie sie in Israel selbst seit der Staatsgründung gelebt wird. Vergessen wir nicht: alljährlich demonstrieren in Berlin Tausende Menschen bei dem antisemitischen und antizionistischen Al-Quds-Marsch. Diese antisemitischen Aufmärsche in Berlin müssen ein Ende haben! Zum Al-Quds-Marsch rufen auch Anhänger der Hisbollah auf, einer Terrororganisation, die endlich auch in Deutschland vollständig verboten werden muss. Über ein Verbot der Aufmärsche hinaus sind gesellschaftliche Antworten notwendig. Zivilgesellschaftliche Akteure, die sich in Bildungsprojekten gegen Antisemitismus und Antizionismus einsetzen, etwa die „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V.“, müssen endlich auch finanziell auf eine sichere langfristige Basis gestellt werden. Ideelle Förderungen bleiben sonst nur Lippenbekenntnisse! Antisemitismus ist nicht nur ein Problem muslimisch geprägter Milieus, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem in Deutschland, das in allen Konfessionen, Altersgruppen sowie allen Einkommens- und Bildungsschichten auftritt.
5. Die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen führen uns vor Augen: die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel heute müssen über die Vergangenheit hinaus und vor dem Hintergrund gemeinsamer Werte und Herausforderungen beurteilt und gewürdigt werden. Diese bilden die Grundlage für das bevorstehende Gedenk- und Jubiläumsjahr 2015, in dem wir an den 70. Jahrestag der Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur erinnern, 50 Jahre offizielle deutsch-israelische diplomatische Beziehungen würdigen und einen Ausblick auf die nächsten 50 Jahre wagen wollen. Wir rufen daher alle Verantwortlichen aus Politik, Gesellschaft, Kultur, Kirchen, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft dazu auf, das Jubiläumsjahr 2015 zu nutzen, um die Einzigartigkeit der Beziehungen auf ein neues Fundament zu stellen und stärker als bisher in das Bewusstsein der Öffentlichkeit hineinzutragen.
Die Deutsch-Israelische Gesellschaft wird sich in diesem Zusammenhang mit aller Kraft dafür einsetzen:
Die historische Verantwortung sowie das gemeinsame Wertegerüst müssen für alle genannten Themen und Projekte die Grundlage bilden, um die nachfolgenden Generationen, die diese Beziehungen in der Zukunft prägen werden, für diese Partnerschaft zu begeistern und mitzunehmen