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Jan Gerber: Das Verschwinden des Holocaust. Zum Wandel der Erinnerung

1. Oktober @ 19:00 - 20:00

Eine VA der DIG AG KÖLN

Reihe „Die Herausforderung der Shoah-Forschung“

Die Erinnerung an den Holocaust schwindet. Seine Singularität wird zusehends infrage gestellt. Jan Gerber erinnert daran, dass sich die Erkenntnis von der Besonderheit des Verbrechens erst spät durchsetzte. Die Unterschiede zwischen Konzentrations- und Vernichtungslagern, zwischen Buchenwald und Birkenau, Belsen und Belzec, waren lange kaum jemandem bewusst. Auch die Erinnerung begann zeitlich verzögert. Der Holocaust bewegte sich erst seit den Siebzigern aus den Vororten des Gedächtnisses an den Zweiten Weltkrieg in sein Zentrum.

Jan Gerber geht den Ursachen dieser Entwicklung nach. Er fragt nach jenen Bedingungen von Erinnerung und Erkenntnis, die gegenwärtig zu erodieren scheinen. Dazu verbindet er die Gedächtnisgeschichte des Holocaust mit der Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Auf diese Weise werden die aktuellen Debatten über die Bedeutung des Holocaust, sein Verhältnis zu den Kolonialverbrechen und die Politik Israels historisch eingeordnet. Es entsteht eine integrierte Geschichte der Holocaust-Erinnerung.

Kollektive Geschichtsbilder befinden sich gegenwärtig in einer Phase der Neujustierung. Das betrifft nicht zuletzt den Holocaust. Noch am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert wurde regelmäßig erklärt, dass dem Verbrechen eine zentrale Bedeutung für das zukünftige europäische Selbstverständnis zukommen werde. Ganz unabhängig davon, was von den Versuchen zu halten ist, aus dem Massenmord und seiner »Aufarbeitung« eine positive »europäische Identität« zu ziehen, werden solche Erwartungen heute nicht mehr formuliert. Im Gegenteil, die Bedeutung des Holocaust für die gesamteuropäische Erinnerung scheint im Schwinden begriffen zu sein. Das Gleiche gilt für seine Funktion als Gedächtnisikone.

Im Rahmen des Vorhabens wird den Ursachen dieser Transformation nachgegangen. Sie betrifft sowohl die Erinnerung als auch, unmittelbar damit verbunden, die Deutung des Verbrechens. Die Arbeit zielt weniger auf kurzfristige politische Verschiebungen; im Zentrum stehen vielmehr die epistemischen Bedingungen der Möglichkeit von Erinnerung und Erkenntnis über den Holocaust. Durch die Rekonstruktion der Bedingungen, unter denen der Holocaust seit den 1970er Jahren zu einer der zentralen Gedächtnisikonen des 20. Jahrhunderts werden konnte, werden einige Voraussetzungen von Erkenntnis über das Verbrechen herausgestellt. Zugleich werden sie ins Verhältnis zu den sozioökonomischen, politischen und medialen Transformationen der Gegenwart gesetzt, die die Erwartungshorizonte, gesellschaftlichen Leitbilder, Semantiken, individuellen und kollektiven Verortungen erneut verändern.

Der engere Untersuchungszeitraum reicht von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart; der historische Resonanzboden, auf dem die Untersuchung stattfindet, geht indes bis 1942/43 zurück, als die ersten Nachrichten über die systematische Massenvernichtung bei den Alliierten eintrafen. Da es sich um ein internationales Phänomen handelt, wird räumlich eine transnationale Perspektive eingenommen. In den Blick genommen werden nicht nur Deutschland und Europa, sondern auch die Vereinigten Staaten und Teile der postkolonialen Welt.

Jan Gerber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon Dubnow Institut. Er berichtet über sein jüngstes Buch: Das Verschwinden des Holocaust. Zum Wandel der Erinnerung, Hamburg: Edition Tiamat 2025

Anmeldung unter

Details

Datum:
1. Oktober
Zeit:
19:00 - 20:00
Veranstaltungskategorie:
Website:
https://www.facebook.com/DIG.AG.Koeln/

Veranstaltungsort

Lern- und Gedenkort Jawne
Albertusstraße 26
Köln, 50667
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Veranstalter

DIG AG Köln