„Die israelische Demokratie lebt“: DIG würdigt Rechtssysteme Israels und Deutschlands

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hat am gestrigen Dienstag in einer hochaktuellen Veranstaltung in Karlsruhe die Rechtssysteme Israels und Deutschlands gewürdigt. Anlass war das 75. Jubiläum der Staatsgründung Israels. Geprägt war der Abend von den aktuellen Ereignissen in Israel.

Am Montag hatte die Knesset das erste Gesetz der Koalition zur Schwächung des Obersten Gerichtes mit der Verabschiedung des „Angemessenheits-Gesetzes“ beschlossen. Mehrere Beschwerden gingen Stunden später beim Obersten Gericht ein. Die Delegation des Supreme Court brach infolgedessen ihren Besuch in Karlsruhe vorzeitig ab. Die Ansprache von Esther Hayut, der Präsidentin des Supreme Court of Israel, fiel daher leider aus. Eine lebhafte und anregende Veranstaltung war es trotzdem.

Nach der Begrüßung durch den DIG-Präsidenten Volker Beck und Joachim Knöpfel, Vorsitzender der DIG Arbeitsgemeinschaft Baden-Baden, leitete Prof. Dr. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die zentrale Podiumsdiskussion mit einer Keynote ein.

Herr Prof. Harbarth illustrierte an Hand der deutschen Verfassungsgeschichte: “Ohne rechtsstaatliche Garantie kann Demokratie nicht funktionieren.” Aber er betonte in seinem Impuls für die Podiumsdiskussion, dass auch die beste Verfassung allein kein Garant für den Fortbestand der Rechtsstaatlichkeit ist und dass der Verfassungsstaat und seine Weiterentwicklung aus der Mitte der Gesellschaft heraus unterstützt werden muss. Denn so erinnerte er mit dem Böckenförde-Diktum: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Der Blick auf das große Engagement der israelischen Zivilgesellschaft für die Demokratie zeigt hierfür ein hochaktuelles wie eindrückliches Beispiel.

Volker Beck hatte in seinem Grußwort die Bedeutung der aktuellen Debatte betont: „Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der israelischen Justiz begründet den Ruf Israels als einziger Demokratie im Nahen Osten. Das sollte nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.“ Er erinnerte an die Rechtsprechung der letzten Jahre: „Vor der israelischen Justiz ist jeder gleich, ob einfacher Bürger oder Premierminister. Und auch das Militär und die Sicherheitskräfte wurden nicht geschont. Der Oberste Gerichtshof Israels hat auch immer wieder unabhängig in vielen Rechtsfragen für palästinensische Kläger entschieden.“

Dr. Michael Borchard, Leiter Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und ehem. Leiter des Israel-Büros der KAS, führte das Gespräch der Panelteilnehmer kundig durch den Abend. Der „Elefant im Raum“, die Pläne der israelischen Regierung für den Umbau des Justizsystems, wurde in vielen Facetten diskutiert. Dabei trafen sich fachlich versierte Experten aus Israel und Deutschland: Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff, Bundesverfassungsrichter, und Emil Brachthäuser, Generalstaatsanwalt Düsseldorf a.D., sowie Drs. Carmel Wahby, Richter IDF a. D. und Prof. Shimon Shetreet, Greenblatt Chair of Public and International Law an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Wird das Oberste Gericht die Gesetzesänderung vom Montag zu einer Art verfassungswidrigem Verfassungsrecht erklären? Der ehemalige israelische Richter Carmel Wahby wies darauf hin, dass der Gerichtshof vor wenigen Jahren dies ausdrücklich in einer Nebenbemerkung zu einer Entscheidung zu einem “Basic Law”, dem “Nationalstaatsgesetz des Jüdischen Volkes”, für möglich erklärt hatte.

Prof. Shetreet brachte ein zentrales Problem der Regierungspläne auf den Punkt, die mit einer Vielzahl von Initiativen die Regeln der israelischen Demokratie umbauen wollen: Israel sei zwar eine „deficient democracy“ (wie im übrigen nahezu alle demokratisch geführten Staaten), dennoch würden gerade zu viele Veränderungen gleichzeitig voran getrieben: “Wir haben nur den Obersten Gerichtshof.” Aufgrund des historisch bedingten Fehlens einer Verfassung und auch keiner anderen checks und balances wie beispielsweise einer zweiten Kammer kommt dem Supreme Court eine besondere „Wächterfunktion“ in Israel zu.

Der Ausblick am Ende einer lebhaften Debatte zeigte: Zwar wird es von entscheidender Bedeutung sein, wie der Supreme Court sich zur Rechtmäßigkeit des am Montag in der Knesset verabschiedeten Gesetzes positioniert. Aber die Lebendigkeit und Wehrhaftigkeit der israelischen Demokratie, darin waren sich alle einig, ist von beeindruckender Stärke. Auf der Demokratiebewegung ruht die Hoffnung, dass die israelische Demokratie diese große Krise meistern möge.

Am Ende der Veranstaltung stellte die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichtes die Frage in den Raum, was geschehen würde, wenn der Supreme Court das Gesetz vom Montag aufheben würde und die Knessetmehrheit dieses nicht akzeptiert. Mit dieser bangen Frage nach einer konstitutionellen Krise entließ die Veranstaltung die Teilnehmer in den Abend und in weitere, lebhafte Gespräche.