Kalter Wind von Auschwitz weht durch die Gassen und Wohnstuben Europas

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) fordert ein stärkeres Engagement für Jüdisches Leben und warnt vor den Gefahren des wachsenden Antisemitismus.

„Der Antisemitismus des 21. Jahrhunderts weht als Hauch von Auschwitz wieder durch zu viele Straßen und Wohnstuben Europas, ohne dass seine bedrohliche Kälte die Menschen wirklich aufschreckt. Der Judenhass traut sich wieder offen und aggressiv auf die Straßen und Plätze unserer Städte und die virtuelle Vernichtung von Jüdischem Leben findet in den sozialen Medien immer mehr Raum. Unsere Gesellschaft muss endlich aufwachen und aufstehen für Jüdisches Leben und gegen Judenfeindlichkeit. Kränze niederzulegen reicht nicht“, so DIG-Präsident Uwe Becker heute.

Im Vorfeld des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers von Auschwitz mahnt Uwe Becker eine neue Handlungskultur im Umgang mit Judenhass an.

„Die schrecklichen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus, die Ermordung von 6 Millionen Europäischen Jüdinnen und Juden, die Grausamkeiten einer industriell organisierten Tötungs- und Vernichtungsmaschinerie sind schon in ihren Bildern und Erzählungen schrecklich und kaum zu begreifen. Den Opfern dieses dunkelsten Kapitels der Deutschen Geschichte zu gedenken, muss und wird immer Teil unserer zivilisatorischen Verantwortung bleiben, sie ist zum Bestandteil unserer Identität geworden. Doch so zeitlos diese Verantwortung bleibt, so dauerhaft erwächst daraus auch die Verpflichtung, gegen jegliche Form der Judenfeindlichkeit vorzugehen und sich für Jüdisches Leben heute und in der Zukunft einzusetzen. Und dazu gehört gerade auch Jüdisches Leben in Israel“, so Uwe Becker.

„Wir müssen aber feststellen, dass die Judenfeindlichkeit in Deutschland und Europa wieder wächst und geschichtliche Erfahrung nicht aus dem Gedenken alleine künftige Generationen immun gegen Antisemitismus macht. Jede Generation ist neu gefordert, für ein offenes und friedliches Miteinander unserer Gesellschaft einzutreten. Doch unsere Europäische Gesellschaft ist zu träge und hat sich an zu vielen Stellen bereits wieder an die Schatten des Antisemitismus, an judenfeindliche Stereotype gewöhnt. Wir sehen Angriffe auf Jüdinnen und Juden, die Schändung jüdischer Synagogen und Friedhöfe, Judenfeindlichkeit auf den Schulhöfen und auf Sportplätzen und blinden Israelhass. Wir sehen Angst und Verunsicherung bei Jüdischen Familien, wir sehen zu und sehen weg, aber wollen nicht begreifen, dass die Zukunft unseres gesellschaftlichen Miteinanders insgesamt in Gefahr ist“, erklärte Uwe Becker.

„Der Nationalsozialismus pervertierte die Errungenschaften der industriellen Revolution und setze die Instrumente der Massenproduktion zur industriellen Vernichtung jüdischen Lebens und zur stückhaften Verwertung von grausam ermordeten Menschen ein. Im Zeitalter der Digitalisierung findet vor aller Augen die virtuelle Vernichtung von jüdischem Leben Tag für Tag in den sozialen Netzwerken und damit in der Digitalen Welt statt und die reale Welt schaut aus ihren Wohnstuben heraus mit zunehmender Gewöhnung zu. Die Gefahr ist groß, dass sich in den kommenden Jahren immer mehr Türen aus der einen in die andere Welt öffnen, der Anschlag auf die Synagoge von Halle ist ein Beispiel dafür“, so Uwe Becker

„Wenn sich Jüdische Familien fragen, ob sie noch eine Zukunft in Deutschland und Europa haben, dann ist es nicht 5 vor 12, dann ist es 10 nach 12. Auch wenn unsere staatlichen Strukturen stabil und längst nicht so anfällig wie die jungen demokratischen Strukturen der 1920er Jahre sind, so stehen wir doch auch heute vor der Frage, welchen Weg unsere Gesellschaft und damit unser Land in diesem Jahrzehnt nimmt. Jene, die ein anderes Deutschland, ein braunes Land wollen, die marschieren mit und ohne schwarze Stiefel durch unsere Dörfer und Städte. Es ist Aufgabe von uns allen, die Straßen und Plätze unseres Landes zu füllen, um für ein freies und offenes Miteinander, für Jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung ein- und aufzustehen. Und wir stehen als Deutsche ganz besonders in der Verantwortung, gegenüber Israel und den Menschen dort unsere Solidarität zu zeigen und zu leben. Das ist die Verantwortung, die sich aus dem Gedenken an die Opfer der Schoah ableitet. Wir brauchen eine neue Handlungskultur in unserem Land. Es geht nicht darum, alleine Kränze niederzulegen, wir müssen Bäume Jüdischen Lebens in Deutschland und in Europa pflanzen. “, so DIG Präsident Uwe Becker abschließend.